Seit einiger Zeit begleitet mich eine Geschichte aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 13). Jesus, der Wanderprediger, kommt auf seinen Reisen in seiner Vaterstadt «Nazareth» vorbei. Dieses kleine Dorf ist der Ort, wo er aufgewachsen ist. Seine Stadt. Dort hat er mit seinen Brüdern und Schwestern gelacht und gespielt. Dort hat er seinem Vater in der Zimmerei geholfen. Mit einer Einwohnerzahl von ungefähr 350 Personen hat wahrscheinlich Jeder Jeden gekannt.
Genau das wird nun plötzlich zum Problem. Die Einwohner von Nazareth schubladisieren Jesus. «Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns?», «Heisst seine Mutter nicht Maria?», «Kennen wir nicht seine Brüder und Schwestern?».
Sie haben eine genaue Vorstellung, wer Jesus ist und in welche Kategorie er gehört. Sie kennen ihn. Sie wissen genau, wer er ist. Die wenigen Erlebnisse aus der Vergangenheit haben bereits ein festes Bild von ihm geformt.
Mir geschieht so oft dasselbe. Ich habe mich sehr an den «Schweizer-Jesus» gewöhnt. Ich traue ihm oft nur das zu, was ich bereits erlebt habe. Ich schubladisiere ihn.
Dann lesen wir in der Geschichte ein seltsames Fazit: «Und Jesus tat dort nicht viele Machttaten um ihres Unglaubens willen.» (Matthäus 13,58)
Das rüttelt mich auf. Da frage ich mich; «Bin ich bereit, wieder einmal ganz neu zu glauben? Bin ich bereit, wieder einmal diese etwas naiven Erwartungen zu haben, dass Jesus noch heute das tun kann, was er vor langer Zeit tat?» Es gibt eine echte Verbindung zwischen unserem Glauben und Gottes Wirken. Wir können Jesus «so gut kennen», dass wir ihm nur noch wenig Neues zutrauen.
Gemeinsam als Kirche möchten wir immer wieder unsere Erwartungen hochkurbeln. Wir glauben, dass Jesus noch so viel Segen für unsere Stadt bereithält. Wir möchten ihm noch grösseres zutrauen. Wir möchten es zulassen, dass er unser manchmal schon fest geformtes Bild von ihm sprengt.
David Ohnemus